7. Rederaum
Zwischen Naturgesetzen und künstlicher Intelligenz – ist der Mensch das Maß aller Dinge?
Gast: Dr. Ulf Skirke, Physiker, Philosoph, Gründungsmitglied des Zukunftsrates Hamburg 1996
Moderation: Helmut Stubbe da Luz, Tanja Trede-Schicker
Dass der Mensch „das Maß aller Dinge“ sei – diese Behauptung wird hin- und her gedeutet, mal in den einen Zusammenhang gestellt, mal in den anderen; dieser „Homo-Mensura“-Satz wird bejaht, relativiert und bestritten. Sie hält sich wohl aus dem Grund hartnäckig in der Diskussion, dass sie einem immerwährenden Problem Ausdruck verleiht: Welche Stellung kommt dem Menschen ganz allgemein, der Menschheit insgesamt, im Universum zu? Ist der Mensch befugt oder gar beauftragt, mit „den Dingen“ gemäß seinen Bedürfnissen und Interessen umzugehen? Oder aber hat er diese Bedürfnisse und Interessen an mächtigeren oder wichtigeren Instanzen auszurichten? Als solche Instanzen werden dann regelmäßig Götter oder ewige Weltgesetze angeführt, aber auch „die Natur“ oder „der Kosmos“.
In seiner Einführung erinnerte Helmut Stubbe da Luz daran, dass Platon seinem Helden Sokrates die Deutung in den Mund gelegt hat, dass es keine höhere Quelle der Erkenntnis gebe als Menschen sie selbst darstellten: „Wie ein jedes Ding mir erscheint, ein solches ist es auch mir, und wie es dir erscheint, ein solches ist es wiederum dir. Ein Mensch aber bist du sowohl als ich.“
Ulf Skirke, Dipl.-Physiker und promovierter Philosoph, Experte für die Theorie komplexer Systeme, der Chaostheorie und der Selbstorganisation, hatte schon als Bundesvorsitzender der Jusos (1984–1986) den Ausstieg aus der Kernkraft bis 1990 gefordert. Jetzt bezog er den Homo-Mensura-Satz in einem engagierten Statement auf das Verhältnis Mensch-Natur-Technik. Er erinnerte an den Earth Overshoot Day (Erdüberlastungstag), den Tag eines Jahres, an dem die Menschheit alle natürlichen Ressourcen, die die Erde innerhalb eines Jahres zur Verfügung stellen kann, aufgebraucht hat. 2023 fiel er global auf den 2. August, 2024, speziell auf Deutschland berechnet, auf den 2. Mai. Mehr als einmal berief sich Skirke auf den Naturphilosophen und zeitweiligen Hamburger Wissenschaftssenator Klaus Meyer-Abich, der 1984 mit dem Buch Wege zum Frieden mit der Natur. Praktische Naturphilosophie für die Umweltpolitik hervorgetreten war. Der Mensch, so Ulf Skirke, müsse von der „Naturgabe Vernunft“ einen anderen Gebrauch machen, sich als integrierenden Bestandteil der Natur verstehen, sich von der Natur „belehren“ lassen und die Schönheit und Harmonie des Kosmos erkennen. In den Mensch-Natur-Dialog sei die Künstliche Intelligenz einzubeziehen.
Ulf Skirke rief damit eine lebhafte Diskussion hervor, die dank mehrerer Teilnehmer ebenso fundiert ausfiel und von Tanja Trede-Schicker mit Hilfe einiger inhaltlicher Impulse zusammengehalten wurde. Meinungsverschiedenheiten gab es u. a. zu den Fragen, ob die Evolution des Lebens eher von Konkurrenz oder Kooperation geprägt sei, ob der Mensch eher von seiner Vernunft oder von seinen Emotionen angetrieben werde und ob „der Mensch“, also die Menschheit insgesamt, nicht in Gesellschaften mit zum Teil sehr unterschiedlichen Zielen zerfalle und zu einem einheitlichen Vorgehen in puncto Klimaschutz, Ressourcenverbrauch und Großer Transformation deshalb kaum in der Lage sei.
Am Schluss blieb die Frage, ob der Mensch nicht zwangsläufig „Maß aller Dinge“ sei, frei darin, zu entscheiden, ob und wie er sich von der Natur belehren lasse, aber genau deshalb auch mit der vollen Verantwortlichkeit belastet.
Helmut Stubbe da Luz