Beschneidung von Jungen ohne Indikation

Wir müssen sprechen!

Beschneidung darf nicht länger Tabu-Thema sein!
Auch Jungen haben ein Recht auf körperliche Unversehrtheit!

Bild: © argus-kinderschutz.org

Für den 11. November 2025 hatte das Hamburger Säkulare Forum, das neun säkulare Organisationen der Hansestadt vertritt, zum Thema „Beschneidung von Jungen ohne Indikation“ eingeladen. Schon der Untertitel im Einladungstext „Medizinische, gesellschaftliche und ethische Perspektiven auf eines der größten Tabu-Themen im deutschen Kinderschutz“ deutet die Brisanz des Themas an.

Als Referent war der versierte Arzt Dr. med. Guido Hegazy gewonnen worden. Dieser war nach seinem Medizinstudium an der Berliner Charité tätig und forschte parallel an einem Max-Planck-Institut. Danach arbeitete er als Arzt und Wissenschaftler bei städtischen Instituten des Gesundheitsschutzes in Hamburg. Als engagierter Mediziner rief er hier 2024 die unabhängige medizinische Initiative ARGUS-Kinderschutz ins Leben. Die Kinderschutz-Organisation setzt sich sehr entschieden, aber sachlich argumentierend für den Schutz von Jungen vor den medizinischen Risiken von Beschneidung ein. Dr. Hegazy: „Die medizinische Ausrichtung und die daraus folgende fachliche Integrität ist die Basis für die Arbeit von ARGUS-Kinderschutz. Wir sind politisch neutral, haben keine Assoziation zu irgendeiner Konfession, und erhalten keinerlei Zuwendungen von Parteien, Firmen oder Interessenverbänden“. Im Internet kann man die Selbstdarstellung dieser wichtigen und vorbildlichen Organisation unter der Adresse www.argus-kinderschutz.org verfolgen.

© Tom Brandenburg

Nach den einleitenden Worten von Andrea Oltmanns für das Säkulare Forum folgte sehr aufschlussreich und gut verständlich unterstützt von erklärenden Illustrationen und Animationen auf der Leinwand Dr. Hegazys rund 75-minütiger Vortrag. Und der hatte es in sich! Man bedenke, wie tabuisiert das Thema ist! Dabei muss doch gerade hier sehr gewissenhaft aufgeklärt werden! Ganz im Interesse der betroffenen Kinder und deren Eltern, der befassten Ärzte, der im Kinderschutz Engagierten. Daher zeigten die Illustrationen beispielsweise auch deutlich Anatomie und Funktionen der Vorhaut am kindlichen Penis, erklärten die – wohl eher seltenen – medizinischen Indikationen, also Vorschriften für eine Entfernung und ausführlich die zumeist erheblichen physischen und psychischen Folgen sowie die rechtlichen und ethischen Aspekte. Problematisiert wurden ebenfalls die komplexen juristischen Positionen in Deutschland. Und nicht zuletzt erläuterte Dr. Hegazy die „kulturell-religiösen“ Motive und Vorschriften zur Beschneidung, vor allem im Islam und im Judentum. Hier blieb der Arzt jedoch eher respektvoll und zurückhaltend, wohl unter Berücksichtigung des in unserem Land so betonten Rechts auf Religionsfreiheit.

Aber gerade die Säkularen sind es, die „kulturell-religiös“ motivierte Beschneidungen jeglicher Art schärfstens verurteilen. Als unrechtmäßige Verstümmelung, als Übergriffe auf die doch eigentlich geschützte körperliche Unversehrtheit. Und vor Jahren konnten sich die Kritiker noch berufen auf das bekannte „Kölner Urteil“, ausgesprochen vom Kölner Landgericht am 7. Mai 2012, nach dem die religiöse Beschneidung eines minderjährigen Jungen ausdrücklich als „rechtswidrige Körperverletzung“ verurteilt wurde. Doch damals, nach heftigen Reaktionen – vor allem seitens der religiösen Lobbygruppen – befasste sich auf Weisung der damaligen Bundesregierung noch im gleichen Jahr der Bundesrat mit dem Fall, um die „entstandene Rechtsunsicherheit“ – religiöse Pflicht oder Körperverletzung – „zu beseitigen“. Und entsprechend den damaligen Kräfteverhältnissen verabschiedete der Bundestag schließlich den eigentlich empörenden Gesetzentwurf zum „Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes“ in dritter Beratung. 434 Abgeordnete stimmten mit „pro“, 100 dagegen, 46 enthielten sich. Und stolz wurde verkündet: „Für Juden und Muslime in Deutschland herrscht künftig wieder Rechtssicherheit“.

Doch auch die Säkularen blieben standhaft, beharrten auf Menschenrechten und Grundgesetz. Unter dem Titel „Das Parlament hat die Pflicht, das Beschneidungsgesetz abzuschaffen“ veröffentlichte die Giordano-Bruno-Stiftung (GBS) 2017 zum fünften Jahrestag des „Kölner Urteils“ das gemeinsame Statement dreier namhafter Persönlichkeiten, das diese auf Anfrage verfasst hatten: Dr. jur. Ralf Eschelbach (Richter am Bundesgerichtshof), Prof. Dr. med. Matthias Franz (Uni-Klinik Düsseldorf) und Prof. Dr. jur. Jörg Scheinfeld (Uni Mainz und Wiesbaden), worin sie die Politiker nachdrücklich zum Handeln aufriefen. In ihrem Schreiben zeigten sie auf, dass die Politiker bei der Verabschiedung des Beschneidungsgesetzes „von fehlerhaften Informationen ausgingen und dazu verleitet wurden, eine Einsicht zu ignorieren, die in einem modernen Rechtsstaat selbstverständlich sein sollte, „nämlich dass der Intimbereich von Jungen ebenso unverfügbar sein muss wie der Intimbereich von Mädchen“. Den Artikel veröffentlichte die Giordano-Bruno-Stiftung 2017 zusammen mit einem aussagekräftigen Plakat, Titel: „Mein Körper gehört mir“.

© Giordano-Bruno-Stiftung

Leider ist es bislang bei der Entscheidung des Bundestags geblieben, doch die Kritik daran wächst weiter. So wurde zum Weltkindertag am 18. September 2025 der offene Brief der Professoren Franz, Stehr und Scheinfeld noch einmal erneuert und die Liste der Unterzeichner beachtlich erweitert. Er wird auf Dauer sicher nicht ohne Wirkung bleiben

Angesprochen auf das Papier der drei Experten war es dem vortragenden Dr. Hegazy wohl bekannt und als wichtiges Statement gewertet in die auch von ARGUS Kinderschutz anvisierte Stoßrichtung. Das eröffnet vielleicht Perspektiven für ein gemeinsames aktives Handeln in der Zukunft zusammen mit den Säkularen. Herrscht doch Einigkeit in der Einsicht: Das derzeit geltende Gesetz zur Beschneidung (Zirkumzision) für Jungen und Männer ohne ärztliche Indikation muss abgeschafft werden. Denn es begünstigt und hält für rechtens, dass in Deutschland jedes Jahr schätzungsweise etwa 46.000 Jungen muslimischer Eltern und zwischen 200 und 400 Jungen jüdischer Eltern mit unverantwortlichen Folgen die Vorhaut abgeschnitten wird.

Was an dem Vortragsabend zum Beschneidungsgesetz für Jungen nicht Thema war, darf jedoch nicht vergessen werden: 2018 verabschiedete der Bundestag immerhin das Gesetz zur „Strafbarkeit der Beschneidung von Mädchen, insbesondere in Fällen mit Auslandsbezug“. Wer sich von der nach wie vor in vielen Ländern praktizierten „weiblichen Genitalverstümmelung“ ein Bild machen will, werfe zu diesem Stichwort einen mutigen Blick auf Wikipedia: Grausam! Aber bekannt ist: Auch aus unserem Land reisen jedes Jahr viele Mütter mit ihren Töchtern in afrikanische und arabische Länder, damit diesen dort unter Qualen Klitoris und/oder Schamlippen beschnitten oder ganz abgeschnitten werden, wie es noch Brauch ist. Rund 17.000 Mädchen sind auch in Deutschland gefährdet, dieser brutalen genitalen Verstümmelung unterzogen zu werden, warnte 2024 Edell Otieno-Okoth, Expertin von der Hilfsorganisation Plan International. Denn mit der globalen Migration verbreite sich die grausame weibliche Genitalverstümmelung zunehmend auch in Europa und auch bei uns. Leider, so der Vorwurf von Experten, kapriziert sich die Organisation Plan International fast ausschließlich auf die weibliche Genitalverstümmelung und vernachlässigt die der betroffenen Jungen, die vom Gesetz bislang nicht gleichermaßen geschützt sind. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit hat jedoch zu gelten unabhängig von Religion und Geschlecht!

Bleiben wir also wachsam und solidarisch mit den Betroffenen. Machen wir uns weiterhin schlau zu diesen brisanten Themen und beteiligen wir uns an der Arbeit der Aufklärung. Und halten wir fest an den Werten von Menschenrechten und Selbstbestimmung! Danke, Herr Dr. Hegazy für Ihren wichtigen Beitrag.

Tom Brandenburg

Werbeblatt zu der Veranstaltung.

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