Menschenrechte aberkennen – geht das?
Gast: Christiane Schneider (Die Linke), vormalige Abgeordnete der Bürgerschaft
Moderation: Helmut Stubbe da Luz, Tanja Trede-Schicker
Dienstag, 12. März 2024
Am 1. Februar 2024 ist einigen Fraktionen des Bundestags eine Petition mit 1,6 Millionen Unterschriften übergeben worden: Dem rechtsextremen AfD-Politiker Björn Höcke sollen bestimmte Grundrechte entzogen werden, da er sein Grundrecht auf Meinungsfreiheit missbraucht habe – zum Kampf gegen die Ordnung des Grundgesetzes. Handhabe bietet Artikel 18 Grundgesetz. Demnach können Grundrechte „verwirkt“ werden.
Vertrauenskrise in Staat und Gesellschaft – Wer ändert das?
Nicht nur aktuelle „Sonntagsfragen“ sorgen für Beunruhigung. „Politikverdrossenheit“ ist nichts Neues, droht aber Ausmaße anzunehmen, die auf eine gravierende Vertrauenskrise zwischen Teilen der Gesellschaft einerseits, „der Politik“ andererseits hindeuten. Nicht nur schneiden maßgebende politische Akteure mit ihrer „Performance“ in Umfragen oft schlecht ab. Auch systemrelevante Institutionen und Organisationen sind betroffen – in unterschiedlicher Intensität.
Politiker und Verfassungsorgane werden nicht befragt, wie es mit dem Vertrauen stehe, das sie ihrerseits in die Bevölkerung setzen. Die diesbezügliche „Huhn-Ei“-Frage wird von Seiten Unzufriedener ganz entschieden beantwortet: Parlament und Regierung seien es doch, die die Bevölkerung verachteten, im AfD-Jargon „hassten“, sie nicht nur ordnen, sondern umformen oder gar auswechseln wollten.
Im Hamburger Stadtteil Lokstedt wird wieder gewichtelt und geweihnachtet auf Deubel komm raus! In den Geschäften klingeln die Kassen mit „Kling-Glöckchen-kling“. Das Wochenblatt postet die Gottesdienste der umliegenden Stadtteile. Die Lokstedter Christ-König-Kirche lockt mit „Familiengottesdienst“, „Kinderchören“ und „Christvesper mit Musik“, die Petrus-Kirche mit „Krippenspiel“ und „Mitternachtsgottesdienst“. Das volle Programm! Von Säkularisierung und Entkirchlichung keine Spur. Okay, wie viele Leutchen dann tatsächlich kommen, ist noch nicht ausgemacht, aber Lokstedt ist in Vorweihnachts-Laune.
Ganz Lokstedt? Nein! Ein hochgequirlter Shitstorm versaut vor allem dem Mitarbeiter*innen-Team der Kindertagesstätte „Kita Mobi“ im Grandweg gerade mächtig die Stimmung. Der Skandal: Wie schon seit Jahren entscheidet das Team zusammen mit den Kindern jedes Jahr, ob vor dem Haus auch ein geschmückter Weihnachtsbaum leuchten soll. Dieses Jahr fiel die Entscheidung, wie schon siebenmal in den letzten zehn Jahren auf „ohne“.
Doch dieser Entscheid kam offensichtlich nicht überall gut an. Ungefragt ließ ein Spender in der Nacht heimlich einen geschmückten Weihnachtsbaum mit Geschenken im Vorgarten aufrichten. Die BILD-Zeitung sprang sofort zur Seite und berichtete prompt, begleitet von einem entsprechenden Idylle-Foto: „Als die Kleinsten Donnerstagmorgen in die Kita Mobi im Hamburger Stadtteil Lokstedt gebracht wurden, stand plötzlich ein Weihnachtsbaum im Garten. Daneben zahlreiche Geschenke. Dabei hatte die Kita-Leitung genau darauf verzichten wollen – „im Sinne der Religionsfreiheit.“ Und weiter: „Diese Überraschung freut sicher ganz, ganz viele Kinder – und sorgt eventuell für ein Umdenken bei der Kindergarten-Leitung …“.
Beim Kita-Team indes kam die übergriffige Handlung auf ihrem Gelände nicht gut an. Kurzerhand ließ es den Baum von seinem Gelände wieder abtransportieren und begründete seine Entscheidung gegen den Weihnachtsbaum in einem Brief an die Eltern, man wolle „kein Kind in seinem Glauben ausschließen“.
Am 10. Dezember, dem internationalen Tag der Menschenrechte, wurden am gleichen Tag zwei mutige iranische Kämpferinnen für die Freiheit geehrt. Beide haben sich unter Gefahr für Leib und Leben eingesetzt für die Menschenrechte und gegen die besonders tückische Unterdrückung der Frauen durch das mörderische Teheraner Mullah-Regime.
Die eine, Narges Mohammadi, 51, sitzt seit Jahren im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran. In Oslo wurde sie am Internationalen Tag der Menschenrechte mit dem diesjährigen Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Selbstverständlich wurde sie zur Entgegennahme der Auszeichnung nicht entlassen, musste ihre Rede hinter Gittern verfassen. Ihre im Exil lebenden 17-jährigen Zwillingskinder mussten die Rede in Oslo verlesen. Narges Mohammadi wurde auch an Stelle der Hunderttausenden Menschen gewürdigt, die unter dem Slogan „Frau, Leben, Freiheit” auf iranischen Straßen protestierten und weiter gegen den Kopftuchzwang, für ihre Würde und Freiheit mutig ihre Stimme erheben.
Die andere, Mina Ahadi, 67, seit Jahrzehnten frei in Deutschland lebend (manchmal unter Polizeischutz), konnte am gleichen Tag nach Hamburg ins Kino Abaton kommen, um zu dem neuen Dokumentarfilm „Mina – der Preis der Freiheit“ in der Anschluss-Diskussion Rede und Antwort zu stehen. Mina steht an der Spitze des „Zentralrats der Ex-Muslime“ und organisiert von hier aus die Unterstützung für den Kampf gegen Hinrichtungen und Steinigungen im Iran. Mit zahlreichen Kampagnen und Demonstrationen – auch bei uns in Hamburg – hat Mina gegen diese besonders grausame Tötungsart die Weltöffentlichkeit aufmerksam gemacht und einen ersten Erfolg erreicht: Derzeit wird im Iran wenigstens nicht mehr gesteinigt.
- „Anerkennungspolitik“ – An welchem Menschenbild kann sich eine „vernünftige“ LGBTQIA*-Politik ausrichten, von Seiten aller beteiligten gesellschaftlichen Kräfte?
- „Vorbilder und Idole“ – Welche Menschen, Vereinigungen, Institutionen profitieren von dem Orientierungsdefizit, das sich in der Abkehr großer Teile unserer Gesellschaft von den christlichen Konfessionen zu erkennen gibt?
- „Koranverbrennungen“ – wie verwundbar, wie schutzbedürftig sind Weltanschauungsgemeinschaften, vor allem religiöser Art, in Gesellschaften, die an Diversität zunehmen?
Dreimal „Rederaum“ – dreimal lebhafte Diskussionen über Menschheitsprobleme, die über die unmittelbare Gegenwart hinausgehen – geführt mit Sachkenntnis, Offenheit und Tiefgang, souverän moderiert von der Philosophin Tanja Trede-Schicker.
Dreimal „Rederaum“ 2023 – am Dienstag, 13. Februar 2024 geht es weiter! Nähere Informationen hier dann unter Aktuelles.
Mohammed-Karikaturen, Koranverbrennungen — Ausnutzung der Meinungsfreiheit?
Ein prinzipiell „ewiger“ Konflikt: Wo endet die Meinungsfreiheit, wenn es um die Gewährleistung der „ungestörten Religionsausübung“ geht (Art. 4 Grundgesetz)? Und wann ist ein weltanschauliches Bekenntnis „in einer Weise beschimpft“ worden, „die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“ (§ 166 Strafgesetzbuch)? Entsprechende Ansichten und Urteile sind in mehrfacher Weise kontextabhängig, und die gummiartigen Begriffe „Beschimpfung“, „Störung“ und „öffentlicher Frieden“ sind selbst von Gerichten immer erneut auszulegen. Sogar „Meinung“ muss präzise definiert werden, wenn es um die Durchsetzung von Art. 5 Grundgesetz geht. Das Strafgesetzbuch leistet dazu einen Beitrag: Es bedroht die Verbreitung störender „Inhalte“ und meint damit wesentlich „Schriften“ und „Abbildungen“. Das öffentliche Verbrennen von Exemplaren der Heiligen Schrift einer Religionsgemeinschaft bleibt hier unberücksichtigt – wie lange noch?
In seinem Impulsvortrag skizzierte Helmut Stubbe da Luz die Geschichte und vor allem die Logik des früheren Delikts der „Gotteslästerung“. Sie setzt die Existenz eines Gottes voraus, der über Beleidigungen nicht erhaben ist, der – einmal erzürnt – nicht nur individuelle Missetäter bestraft, sondern ganze Völkerschaften, durch allerlei Katastrophen. Die Existenz eines Gottes wird da vorausgesetzt, der als Garant der Sitten gilt, als Garant des Friedens und des Wohlstands. Und ist dieser Theismus (der Glaube an die wahrhaftige Existenz eines Gottes) nicht sogar noch in Friedrich Nietzsches Ausruf „Gott ist tot!“ noch erkennbar?
Heute ist an die Stelle des Vorwurfs der Lästerung eines Gottes in Deutschland und anderen westlichen Ländern der Vorwurf getreten, Menschen zu beleidigen und zu stören, die ihre Weltanschauung als zutiefst sinngebend verehren, und noch grundsätzlicher geht es um den Zusammenhalt der betreffenden Gesellschaft. Der strafende Staat äußert sich nicht zur eventuellen Existenz von Göttern, er fühlt sich nicht durch Götter legitimiert, aber er erkennt Weltanschauungsgemeinschaften als – modisch ausgedrückt – systemrelevant an, und zwar in besonderer Weise. Soll dieses Weltanschauungsprivileg aufrechterhalten bleiben?
Die Diskussion drehte sich um die drei schon zitierten Fragen vor allem darum, ob säkulare Weltanschauungen ebenso verwundbar seien wie religiöse; ob auch von humanistischer Seite nicht anerkannt werden müsse, dass „der Mensch“ ganz allgemein zu Religiosität neige, und ob das Verbot, Staatsflaggen symbolisch zu zerstören, nicht auf den Weltanschauungsbereich übertragen werden könnte.
Bericht zum Informationsabend am 09.11.2023 bei der GEW im Curiohaus, Hamburg.
Wie macht´s eigentlich Niedersachsen?
Jedenfalls besser als Hamburg, was das Angebot für Religionsunterricht UND wahlweise einem Alternativfach angeht. Während in Hamburger Regierungskreisen und Religionsgemeinschaften der „Erfolg“ des Religionsunterrichts für alle (RUfa) gefeiert wird, wird allen Schülern der Jahrgänge 1-6 ein christlich-jüdischer-muslimischer Religionsunterricht als Pflichtfach in den Stundenplan eingemeißelt.
Aber: er darf abgewählt werden? Super! Und so geht´s:
- Aufmerksame Leser des Stundenplans finden das Fach Religion im Stundenplan.
- Kontaktaufnahme mit dem Klassenlehrer zwecks höflicher Anfrage, wie man das Fach am besten wieder loswird.
- Aufgeschreckte Auskunft des Klassenlehrers (der sehr wahrscheinlich auch der Religionslehrer in den Klassen 1-6 ist): Ein Antrag soll an die Schulleitung gestellt werden. Nein, es gibt kein fertiges Antragsformular. Aber eine E-Mail reicht, wenn der richtige Text drin steht.
- Antwort der Schulleitung: „Sie wissen nicht, was Sie da tun. Kommen Sie doch bitte zu einer Diskussionsrunde in unser Kollegium.“ Praktisch: Das Ergebnis wird schon bekannt gegeben: „Wenn Sie p.c. (political correct) sind, ziehen Sie den Antrag umgehend zurück.“
- Was? Sie sind nicht p.c.? Herzlichen Glückwunsch! Ihr Kind darf sich dann auf regelmäßige Auszeiten auf dem Flur, in einem Nebenraum oder das Abstellen in einer Parallelklasse freuen.
So macht der Schuleinstieg den Erstklässlern und Eltern Spaß. Alle Weichen sind gesetzt für ein Schulleben zum Wohlfühlen und unbesorgte Arbeitszeiten der berufstätigen Eltern.
Im April 2022 hat die Bildungsbehörde gemeinsam mit den Entwürfen für viele andere Fächer auch den eines Bildungsplans Religion für die Grundschule sowie die Sekundarschulen veröffentlicht. Kurz zuvor hatte die katholische Kirche Hamburg ihre Beteiligung am Religionsunterricht für alle (RUfa) bekannt gemacht. Damit wird dieser besondere Hamburger Weg von der evangelischen Nordkirche, der jüdischen Gemeinde, den muslimischen Verbänden, den Aleviten und dem Erzbistum gemeinsam getragen.
Der Entwurf der Bildungspläne Religion hat eine kräftige Fachdebatte ausgelöst, die allerdings in der publizistischen Öffentlichkeit noch keine große Resonanz gefunden hat. Stellungnahmen waren seitens der Bildungsbehörde zum Beginn der Sommerferien in Hamburg erbeten worden. Zahlreiche Voten gingen ein, die sich zumeist sehr kritisch mit dem Entwurf befassten. Viele von ihnen sind auch öffentlich publiziert.
Grundschulverband (zum RUfa siehe Punkt 5 sowohl in der Presseerklärung (Kurzform) als auch in dem nachfolgenden Anhang):
https://gsvhh.de/wp-content/uploads/2022/06/Presseerklaerung-Grundschulverband-zu-Bildun-gsplanentwurfe.pdf
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft:
https://www.gew-hamburg.de/themen/schule/stellungnahme-der-gew-hamburg-zum-bildungsplan-entwurf-religion-grundschule
Landesschulbeirat:
https://www.hamburg.de/contentblob/16306216/22dc5cfbffee9421db0cbbb7c29c8a5f/data/stellungnahme-religionsunterricht.pdf
Lehrerkammer (zum RuFa Grundschule siehe S. 12; außerdem weitere Stellungnahme speziell zum RU Grundschule):
https://lehrerkammer.hamburg.de/wp-content/uploads/sites/19/2022/06/220617_Positionspapier_Bildungsplaene_Version_10.pdf
https://lehrerkammer.hamburg.de/wp-content/uploads/sites/19/2022/05/220515_LKStn_Religionsunterricht.pdf
Arbeitsgemeinschaft für Bildung der SPD Hamburg:
https://afb.spd-hamburg.de/fileadmin/hamburg-institutionen/afb/Positionen-Beschluesse/AEnderungsvorschlaege_Rahmenplan_Religion_Grundschule.pdf
Auch das Säkulare Forum Hamburg e.V. (SF-HH) hat ein Papier vorgelegt, mit dem auf die behördlicherseits zugesagte Überarbeitung der Entwürfe eingegangen werden soll:
https://www.sf-hh.org/web/wp-content/uploads/BP_Religion_Entwurf_SFHH_2022-05.pdf
Dieses Papier ist im Gegensatz zu manch anderen Erklärungen keine Stellungnahme mit einigen kritischen Anmerkungen, sondern eine komplette Überarbeitung des Entwurfs für die Grundschule. Hier wird neben der Perspektive der Religionen eine Weltanschauungsperspektive (Aufklärung, Humanismus, Atheismus, …) hinzugefügt. Denn wenn in einem Unterricht für alle (RUfa) Religionen als Werteträger beteiligt sind, dann müssen auch säkulare Weltanschauungen genuin in ihrem eigenen Selbstverständnis beteiligt sein. Folglich müsste dieser Unterricht dann auch Weltanschauungs- und Religionsunterricht für alle (WuRUfa) heißen. Da das Grundgesetz Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften gleich behandelt, könnten auch säkulare Organisationen Lehrpersonal beauftragen. Dies z.B. macht der HVD in Berlin-Brandenburg, allerdings in einem separaten humanistischen Weltanschauungsunterricht. Das Novum in Hamburg wäre dann ein gemeinsamer Unterricht „für alle“, der diesen Namen auch verdient.
Dass dies unter den Mitgliedern des SF-HH nicht ganz unumstritten ist, versteht sich, denn nicht alle Mitgliedsorganisationen verstehen sich als Träger säkularer Weltanschauungen.
Aber den Versuch, das unehrliche „für-alle-Modell“ Hamburgs aufzubohren, tragen alle mit. Denn durch den religiösen Bekenntnisunterricht, wie er vom Artikel 7 [3] des Grundgesetzes gefordert wird, sollen Kinder in ihrer Religion beheimatet werden, wie es das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung ausgeführt hat. Daran will auch Hamburg mit seinem multireligiösen konfessionenübergreifenden Unterricht festhalten. Das birgt für die Kinder der Eltern, die nicht konfessionell gebunden sind – und das ist in Hamburg die Mehrheit – die Gefahr religiöser Indoktrination. Diese Gefahr kann in den Klassenstufen 1 bis 6 nur durch Nichtteilnahme am Religionsunterricht vermieden werden. (Nur in den höheren Klassen gibt es die Wahl zwischen Religion und Philosophie.) Hier versucht das SF-HH mit seinem um eine Weltanschuungsperspektive erweiterten Entwurf ins Gespräch mit den Schulen zu kommen. Erste mutmachende Gesprächsrunden haben bereits stattgefunden.
Nach der langen, Corona geschuldeten Pause veranstaltete das Säkulare Forum am 22. Juni 2022 wieder ein öffentliches Forum bei den Unitariern in der Diedenhofer Straße. Es gab auch etliche Teilnehmer, die das alternative Angebot der Zoom-Einwahl nutzten. Abgesehen von der Panne durch einen Abbruch der Zoomverbindung, der glücklicherweise relativ schnell behoben werden konnte und für den wir uns bei den zugeschalteten Teilnehmern entschuldigen möchten, war es eine sehr gelungene Veranstaltung.
Den wesentlichen Anteil daran hatte Frau Prof. Dr. Kerstin Michalik von der Fakultät Erziehungswissenschaften der Universität Hamburg. Ihr von zahlreichen Folien unterstützter Vortrag über das Philosophieren mit Kindern in der Grundschule war sehr informativ und interessant, zumal sie selbst über dieses Thema geforscht hat und auch von eigenen Erfahrungen aus der Praxis berichten konnte.
Wie sich in der anschließenden regen Diskussion herausstellte, mussten viele Teilnehmer ihre Annahme, dass den Grundschulkindern beim Philosophieren diverse Philosophen und deren Philosophien beigebracht werden, revidieren. Denn es geht mitnichten um das Lernen von Fachwissen. Vielmehr geht es um das Aneignen bestimmter Fähigkeiten, die besonders gut bei der Beschäftigung mit philosophischen Fragen eingeübt werden können, also bei der Beschäftigung mit Fragen, zu denen es oft keine und schon gar nicht die „einzige richtige“ Antwort gibt (z. B. „Muss man immer die Wahrheit sagen?“ oder „Darf man Tiere essen?“). Wenn die Kinder solche Fragen diskutieren, sollen sie zum Beispiel lernen zuzuhören, was andere Kinder sagen, sollen ihre eigene Antwort begründen, sollen sich bemühen, die Antworten anderer Kinder zu verstehen, sollen begründete Antworten als wertvollen Beitrag zur Diskussion akzeptieren lernen, sollen ihre eigenen Begründungen mit denen anderer vergleichen und darüber nachdenken und ggf. anderen Antworten begründet widersprechen.
Am Ende waren alle Teilnehmer davon überzeugt, dass das Philosophieren mit Kindern in der Grundschule nicht nur für die Kinder selbst und ihre Entwicklung förderlich ist, sondern auch Fähigkeiten fördert, die für ein friedliches Zusammenleben in einer Demokratie und in einer offenen Gesellschaft unabdingbar sind, und zwar weit mehr als der Religionsunterricht. Und der Behauptung, dass es in Deutschland vielen Erwachsenen heutzutage an solchen Fähigkeiten mangelt, wurde nicht widersprochen.
Wer am Forum nicht teilgenommen hat, kann sich über den aufschlussreichen Artikel „Sich im Anderen spiegeln“ in der Hamburger Lehrerzeitung über das Philosophieren mit Kindern in der Grundschule informieren. Sehr ausführliche Informationen zu dem Thema findet man auf der Webseite http://www.philosophierenmitkindern.de.
Das SF-HH beschäftigt sich schon lange mit Rufa 2.0, siehe unser Projekt „RUfa 2.0 Religionsunterricht für alle“. In diesem Zusammenhang möchten wir auf einige Veröffentlichungen in der hlz, der Zeitschrift der GEW Hamburg, und der Wochenzeitung DIE ZEIT mit einigen dazu eingereichten Leserbriefen sowie auf die Pressemitteilung des KORSO hinweisen.
In der hlz-Ausgabe vom Dezember 2020 haben Gerhard Lein, ehemaliger Schulleiter einer Hamburger Stadtteilschule, mit seinem Artikel „Scheinliberal“ (Seiten 38-40) und Kerstin Michalik, Professorin am Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg, mit ihrem Artikel „Philosophie statt Religion“ (Seiten 42-45) auf das Problem des Hamburger Religionsunterrichts aufmerksam gemacht und damit eine Debatte entfacht.
Denn daraufhin erschienen in der hlz-Ausgabe vom Januar/Februar 2021 zahlreiche Leserbriefe. Außerdem erschien in derselben Ausgabe der Artikel „Wollen wir die Spaltung?“ (Seiten 50-54), mit dem die GEW-Mitglieder und Vorsitzenden der Vereinigung Hamburger Religionslehrerinnen und Religionslehrer Birgit Korn (1. Vorsitzende bis November 2020) und Benjamin Krohn (1. Vorsitzender seit November 2020) auf die Artikel in der vorhergehenden Ausgabe reagierten.
Auch in den weiteren hlz-Ausgaben wurde die Diskussion über den Hamburger Religionsunterricht fortgeführt, beispielsweise schon in der Ausgabe vom März/April 2020 mit der Überlegung „Ein neuer Anlauf“ (Seiten 32-33) zu einem Antragsentwurf zum Gewerkschaftstag der GEW Hamburg im Mai 2021 von Gerhard Lein, Prof. Dr. Kerstin Michalik, Karin Hufert, Dora Heyenn und Dr. Stefan Volke unter Einbeziehung von Hinweisen seitens Dr. Carola Roloff, mit Gerhard Leins Beitrag „Starkes Echo“ (Seiten 33-35), in dem er seine Hoffnung auf eine Diskussion innerhalb der GEW über die Gestaltung des Religionsunterrichts in den Klassen 1-6 zum Ausdruck bringt, und mit dem Leserbrief „Etikettenschwindel“ (Seite 35) des stellvertretenden Vorsitzenden des SF-HH, Christian Lührs.
Auch DIE ZEIT Nr. 23/2021 vom 2. Juni 2021 veröffentlichte in ihrer Rubrik Wissen (Religion) mit dem Artikel „Lernen, was die Mitschüler glauben“ von Joachim Wagner, ehemaliger Leiter der ARD-Sendung „Panorama“, einen Beitrag zum Thema des Hamburger Religionsunterrichts. Dieser Beitrag war allerdings recht einseitig religions- und kirchenfreundlich und vernachlässigte vollkommen die Bedürfnisse der Mehrheit der Hamburger Bevölkerung, denn diese Mehrheit gehört keiner religiösen Glaubensgemeinschaft an. Auf diese Einseitigkeit haben Gerhard Lein in seinem Leserbrief vom 03.06.2021 und Gisela Schröder in ihrem Leserbrief vom 06.06.2021 hingewiesen.
Übrigens hat auch der KORSO (Koordinierungsrat säkularer Organisationen) das Thema „Religionsunterricht in öffentlichen Schulen“ am 23.07.2021 in seiner Themenwerkstatt behandelt. An der Vorbereitung dazu waren Wolf E. Merk und Gerhard Lein vom SF-HH beteiligt, und Gerhard Lein hielt ein kurzes Referat über die Besonderheit des Hamburger Religionsunterrichts für alle. Darüber hinaus haben auch weitere Vorstandsmitglieder und Interessenten des SF-HH an dieser Themenwerkstatt teilgenommen. Das Ergebnis dieser Themenwerkstatt hat der KORSO als Pressemitteilung am 27. Juli 2021 veröffentlicht.